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Cola, Luther und die Deutschen

Ev.-Luth. Kirche in Amerika gründet deutsche Kirchengemeinde in Atlanta/USA

Peter Weigand

Tritt man aus dem schon renovierten alten Bahnhof im Zentrum Atlantas heraus, so steht man auf einem großen Platz, an dessen einer Ecke ein postmoderner Bau, in dem sich ein riesengroßes Werbeschild dreht, dominiert. Es ist dies das Coca Cola Museum. Es kommt nicht oft vor, daß allein einem Produkt ein Museum gewidmet wird. Dieses ist aber prägend für Atlanta - der aufstrebenden Stadt im amerikanischen Südstaat Georgia. Früher eher bekannt durch Probleme, wie Sklaverei, Rassenkonflikte, soziales Gefälle zwischen Farmern und deren Arbeitern. Kirchlicherseits natürlich auch bekannt durch den berühmten Sohn der USA, Dr. Martin Luther King, dessen »Memorial« in Atlanta neben seiner Kirche, an der er Pastor war, steht. Auch sind die Olympischen Sommerspiele 1996 dort noch nicht vergessen.

 Der Großraum Atlanta gilt heute in den USA als wirtschaftlicher Zukunftsraum. Industrien, viele Zulieferer für die Autoindustrie, siedeln sich dort an. Unweit von Atlanta wurde ein deutsches Autowerk errichtet. Boomende Wirtschaftsträume sind immer auch gut für Auslandsinvestitionen. Wen nimmt es wunder, daß viele deutsche Firmen sich dort in der Nähe niedergelassen bzw. eine Produktion aufgenommen haben. Wo deutsche Firmen sind, sind in der Regel auch deutsche Repräsentanten und Fachkräfte nicht weit. Viele Familien sind so aus Deutschland nach Atlanta gekommen. Die Vater bzw. die Mutter arbeiten in den deutschen Niederlassungen mit amerikanischen Kollegen zusammen. Dennoch - ihr Aufenthalt in den USA ist zeitlich begrenzt. Man weiß, daß man nach Deutschland zurückkehren wird. Das macht die Inte­gration in ein fremdes Land nicht unbedingt leichter.

Diesem Zuzug von Deutschen ist es zu verdanken, daß nun in Atlanta auch eine deutschsprachige lutherische Arbeit wieder ihren Anfang nimmt. Waren es in den letzten zwei Jahrhunderten die sog. »Salzburger« und andere Wirtschafts- und Konfessionsflüchtlinge, die im Raum Atlanta gesiedelt haben und dort ihre Gemeinden, die heute alle englischsprachig sind, gründeten, so sind es heute die deutschen Expatriates, die den Bedarf für Kirche in deutscher Sprache haben. Kinder sollen getauft und konfirmiert werden, deutschsprachige Seelsorge und Verkündigung, Gemeindeleben - all das wird in der Fremde oft starker vermißt als zuhause, bzw. es stellen sich angesichts der Entfremdungserfahrungen bei Menschen im Ausland auch manche existentielle Fragen anders und lassen Religion wieder sinn- und wertvoll erscheinen.

Das Kirchenamt der EKD hat auf diesen Bedarf in den Jahren 1993-1996 reagiert, indem es der deutschen Gemeindegruppe im Rahmen seines Auslandsvikariatsprogrammes Vikare aus den Gliedkirchen der EKD für jeweils ein Jahr zur Verfügung gestellt hat. Dank der Arbeit dieser Auslandsvikare (s. dazu auch den Artikel von Martin Gundermann, Mitteilungen aus Ökumene und Auslandsarbeit 1997, S. 302ff) und dank des großen Engagements der Gemeindemitglieder konnte in Zusammenarbeit mit der Partnerkirche der EKD, der Evangelical Lutheran Church in America (ELCA), und ihrer dort in Atlanta vertretenen Synode, der Southeastern Synod, ein Projekt erstellt werden, das nun die deutschsprachige Seelsorge und Verkündigung in dieser Stadt sicherstellt, ohne daß die Evangelische Kirche in Deutschland in den USA eine eigene Dependance oder eine sog. deutsche Auslandsgemeinde eröffnen mußte. Letzteres wäre da, wo wir Partnerkirchen haben, theologisch und kirchenpolitisch auch nicht mehr vertretbar.

In Verhandlungen mit dem Bischof der zuständigen Synode ebenso wie mit den Vertretern der Kommission für Outreach der ELCA konnte erreicht werden, daß mit dem Jahre 1997 die ELCA die deutschsprachige Gemeinde in Atlanta als eine ihr genuin zugehörige Aufgabe annimmt und ihr den Status einer »Gemeinde im Aufbau« zugesteht. Dies bedeutet, daß die Gemeindegruppe nach eingehender Analyse nun einen offiziellen Status im Rahmen der ELCA hat und sich nach gewissen Regeln innerhalb der nächsten drei Jahre entwickeln muß. Dafür erhält sie anteilig finanzielle Unterstützung, um sich zu einer vollen selbständigen Mitgliedsgemeinde der ELCA entwickeln zu können. Der Gemeinde wird ein sog. mission developer zur Verfügung gestellt, also ein ordinierter Geistlicher, der den Gemeindeaufbau nach den Vorgaben der ELCA zu bewirken hat. Diese Stelle des mission developer konnte im Jahre 1997 in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern mit einem Pfarrer aus Deutschland besetzt werden. Pfarrer Jörn Foth wurde in Bayern beurlaubt und trat seinen Dienst in Atlanta im März 1998 an. Er ist für die Zeit seines USA-Aufenthaltes ordentlicher Pfarrer der ELCA mit allen Rechten und Pflichten. Seitens der EKD ist er mit der deutschsprachigen Seelsorge und Verkündigung in Atlanta beauftragt. Dieses Joint Venture zwischen Ev.-Luth. Kirche in Bayern, Kirchenamt der EKD und der Southeastern Synod der ELCA sowie der Kirchenleitung der ELCA in Chicago war nur möglich, weil in den USA in den letzten Jahren doch einige deutliche Veränderungen im Blick auf die Bewertung und die Gewichtung des »Deutschen« vonstatten ging.

Die Partnerschaftsarbeit zwischen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika und der Evangelischen Kirche in Deutschland steht hier an einer historischen Wende und vielleicht an einem Neuanfang.

Zum ersten Mal seit Bestehen des Partnerschaftsvertrages der EKD mit der ELCA (seit 1991) kommt es zu einem Arbeitsverhältnis eines deutschen Pfarrers, der via EKD offiziell in den Dienst der ELCA gestellt wird.

Zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg ist die amerikanische lutherische Kirche bereit, deutschsprachige Arbeit als ihre eigene genuine Aufgabe im Rahmen ihrer ökumenischen Verantwortung zu betrachten, diese auch zu bewerkstelligen und mit zu finanzieren. Daß das Deutsche in Amerika aus geschichtlichen und politischen Gründen nicht unbedingt eine Lobby hat, wurde ja bereits erwähnt. Daß die ELCA jetzt aber bereit ist, die Deutschsprachigen als ethnische Minderheit anzusehen, die der sprachlich besonders gestalteten Seelsorge und Verkündigung bedarf, und daß dies als Aufgabe politisch in den Synoden getragen wird, ist ein Novum und auch nicht unumstritten!

Die Zusammenarbeit zwischen EKD und ELCA in Atlanta geschieht auf verschiedenen Ebenen. Örtliche Gemeinden, Industrie- u. Handelskammer, Konsulat, Goethe Institut, deutsche Samstagsschule und Expatriates, die auf Zeit in dieser Region sind, haben sich hierzu verantwortlich in die Pflicht nehmen lassen. Es handelt sich um eine Projektstelle, also nicht um die Errichtung eines Pfarramtes, das auf Dauer von Deutschland besetzt wird. Die amerikanischen Partner sind sich darüber im klaren, daß sie in Zukunft mit eigenen Ressourcen diese Stelle zu versorgen haben, sofern es gelingt, daraus eine geordnete ELCA-Pfarrstelle zu machen. Deutschsprachige jüngere Theologen/innen gibt es in den USA, oft als Resultat bestehender Austauschprogramme zwischen den theologischen Fakultäten.

Der deutsche Pfarrer unterstellt sich den Richtlinien der ELCA, insbesondere ihren Gemeindeaufbaurastern, die auch sehr starke Verwaltungs- und Finanzkomponenten beinhalten. Insofern ist das »Lernmodell 6kumene« mit dem Austausch und einem zukünftigen Transfer als Feedback in die Gliedkirche gewährleistet.

Betrachtet man dieses Projekt genauer, so kann man es als Frucht des Auslandsvikariatsprogramms des Kirchenamtes der EKD bezeichnen, aber auch als Resultat einer. verabredeten und gemeinsam gestalteten Partnerschaftsarbeit zwischen ELCA und EKD.

Laut Aussagen des zuständigen deutschen Generalkonsulates leben im Raum Atlanta ca. 6.000 »Paßdeutsche« auf Zeit. Geht man davon aus, daß etwa ein Drittel kirchlich nicht mehr gebunden ist und ein Drittel der katholischen Kirche angehört, so bleibt für die deutschsprachige Gemeinde in Atlanta das Potential von ca. 2.000 Personen. Das entspräche etwa in der Größe einer durchschnittlichen deutschen evangelischen Gemeinde. Das Kirchenamt der EKD hatte aufgrund dieser Zahlen und der bereits erwähnten Vorarbeit der Vikare den Entschluß gefaßt, durch Beauftragung hier ein Arbeitsfeld gemeinsam mit der ELCA zu beginnen. Es ist ganz im Sinne der ökumenischen Zusammenarbeit, daß der jeweilige im Lande tätige Partner diese Arbeit in seine Verantwortung und unter seine Supervision nimmt.

Insofern ist Atlanta Experiment und zukunftsweisend zugleich. Hier hat Volkskirche und Freiwilligkeitskirche eine Schnittmenge. Werden beide in der Betreuung dieses spezifischen Feldes fähig zur Zusammenarbeit sein? Sind die Systeme beider Kirchen noch kompatibel? Und - läßt sich ökumenische Theologie in beide Kirchen hinein plausibel darstellen und verantworten?

Unter diesem Gesichtspunkt sind solche Projekte wichtig! Im gemeinsamen Vollzug lernen wir ökumenisch voneinander. In der Erörterung der Details und ihrer Hintergründe, in denen ja bekanntlich immer »die Tücke oder der Teufel« sitzt, lernen wir unsere Denkungsarten und Traditionen kennen. Die Betreuung der Deutschsprachigen in Atlanta ist somit auf der einen Seite Diakonie und auf der anderen Seite praktische ökumenische Theologie. Aus beiden müssen nach einer Phase der gemeinsam gemachten Erfahrungen Schlüsse gezogen werden, und es konnte daraus auch ein Feld des theologischen Dialoges in der Ökumene entstehen. Das vielbehauptete Voneinanderlernen in der Ökumene bedarf solcher konkreter Projektebenen. Das Kirchenamt der EKD möchte sich hier flexibel auf neue Prozesse einlassen. Dazu bedarf es der Unterstützung der ökumenischen Partner der EKD, aber auch der Unterstützung ihrer Gliedkirchen, so wie das im Falle von Pfarrer Foth mit der Ev.-Luth. Kirche in Bayern möglich geworden ist. Pfarrerdienstrecht, Fürsorgegedanke, aber auch unterschiedliche Vorstellungen von Berufs- und Gemeindeprofilen, Frömmigkeitsstilen mußten hier berücksichtigt werden und bedurften der großzügigen Auslegung von seiten aller Beteiligten.

Somit ist Atlanta als Stadt, in der dieses ethnisch bedingte Experiment der ökumenischen Zusammenarbeit durch die lutherische Kirche verantwortet wird, vielleicht ein guter Platz. Eine Stadt im Wandel, aber noch deutlich ethnisch geprägt. Boom-town mit afroamerikanischer Mehrheit, deren schmerzvolle Geschichte, verursacht durch Sklaverei und Rassengesetze, auch nicht mit dem kommerziell genutzten »one world feeling« von jener braunen Brause, genannt Cola, überspielt werden kann und darf.

Der Autor, Oberkirchenrat Peter Weigand, ist theologischer Referent für Nord- und Mittelamerika, Mexiko und Brasilien im Kirchenamt der EKD, Hannover.

 

 

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Last modified: July 05, 2004